Seriously mad but quite normal: Der grandiose Sieg der Frau T.

23. August 2013

Der grandiose Sieg der Frau T.


Die Schulklasse an jener 70er-Jahre-Kleinstadtschule kennen wir schon von Frau H. und ihren furchtbaren Erlebnissen. Jene Klasse von aufsässigen, wilden, frechen, ungehobelten, undisziplinierten und ziemlich rücksichtslosen sowie renitenten und aufmümpfigen Rabauken beiderlei Geschlechts war jedoch trotz all dieser Attribute ihrer Schüler keineswegs ein Haufen  ungeordneten Chaos', sondern war vielmehr straff organisiert. Sie verfügte gewissermaßen über eine "Regierung". So nannte sich das lose Gremium der vier oder fünf gerissensten Schüler. Wie üblich wollen wir aus Diskretionsgründen keine Namen nennen. Da und dort werden wir möglicherweise den einen oder anderen Anfangsbuchstaben nennen, wie wir das schon bei Frau H. und (vorliegend) bei Frau T. praktiziert haben bzw. praktizieren. Doch einen eigentlichen Wort- oder Rädelsführer gab es nicht. Wer eine Idee hatte, zog sie durch. Die anderen machten schon mit, sie waren kreativ und flexibel. In der Klasse war ihre Stellung unangefochten. Durch ein ausgeklügeltes System von Bevorzugung und Bestrafung - Zuckerbrot und Peitsche also - war die Klasse zum größten Teil fügsam. Die Streber(innen), die sich als unverbesserlich und unbelehrbar erwiesen hatten, wurden ignoriert, getriezt und unterdrückt. Sie mochten vielleicht nicht alles mitmachen, wagten aber auch nicht, offen gegen die Mehrheit anzugehen. Ja, noch nicht einmal zu petzen getrauten sie sich. Es waren eben typische, lahmarschige Streberschädel.

Nun begann auch noch ein neues Schuljahr. In der Klasse hat es nur einen Neuzugang gegeben, der sich aber sofort blendend integrierte, und schon mal zur allgemeinen Belustigung den Clown gegeben hatte. Aber noch ein "Neuzugang" lag in der Luft. Es sollte eine neue Lehrerin für Englisch an die Schule und in die bewusste Klasse kommen. Wie man - aus welchen Quellen auch immer - gehört hatte, sollte sie noch so einigermaßen jung sein. Also nicht eine der üblichen, schrulligen und vertrockneten Schnepfen und alten Drachen, die sonst so an der ehrwürdigen Lehranstalt zu unterrichten pflegten. Man war gespannt und neugierig auf die Neue.

Der anfängliche Stundenplan sah vor, dass am Freitag in der fünten Stunde die erste Unterrichtsstunde im Fach 'Englisch' in jener Klasse stattfinden sollte. Die Schüler waren voller Vorfreude. So oder so würden sie auf ihre Kosten kommen. Taugte die Neue nichts, würde sie ihr blaues Wunder erleben und das tragische Schicksal von Frau H. (hier) teilen. Und war es eine eher ansehnliche Tante, so sollte sie mit diesem Haufen irrer Freaks ebenfalls ihr blaues Wunder erleben. Nur anders eben. So hatten es sich die Jungs und Mädels vorgenommen.

Schließlich kam der besagte Freitag. Den Schülern war seltsam vorgekommen, dass laut Plan weder in den Parallelklassen noch in den anderen Jährgängen an diesem Freitag Englischunterricht sein würde. Also wurde ihnen die Ehre einer Premierenveranstaltung zuteil. Sie durften die unbekannte, aber avisierte Lady quasi schultechnisch deflorieren. So fieberte man der fünften Stunde entgegen. Gerüchte besagten, dass man eine junge, rothaarige Frau - leider nur von hinten - in der Schule gesehen haben wollte. Das heizte die pubertäre Phantasie der Schüler zusätzlich an. Der Unterricht in den ersten vier Stunden war für die betroffenen Lehrkräfte enervierend. Kaum jemand hörte zu, aber fast alle tuschelten ständig. Das Gros der Lehrer schob es auf den Freitag und das Wetter. Man war schliesslich von diesen grenzwertigen Wesen, die sich 'Schüler' nannten, so einiges gewöhnt.

Endlich, - es kam das Ende der vierten Stunde. Die Spannung drohte ins Unermessliche zu steigen. Die 'Klassenleitung' gab die Parole aus: "Bei uns herrscht Totenstille!" Kein Wort sollte gesprochen werden und kein Wort wurde gesprochen. Das Kollegium hatte die neue Mitarbeiterin bestimmt geimpft; sie war also vor der Klasse gewarnt worden. Todsicher. Nicht ohne einen gewissen Stolz war man als schlimmste und lauteste Klasse der ganzen Schule bekannt. Es sollte somit nicht nur für die künftige Englischlehrerin, sondern für die gesamte Schule eine Überraschung sein.

Tatsächlich hatte man im Lehrerzimmer der jungen Kollegin einfach empfohlen, schlicht dem größten Lärm und Trubel nachzugehen, so würde sie unfehlbar in der Klasse landen. Worauf Frau T., die neue Lehrerin, erst einmal im verkehrten Zimmer landete. Der dort bereits anwesende Kollege erklärte schmunzelnd, er habe der Klasse gerade einen Witz erzählt, was zu diesem Ausbruch übermütiger und lauter Fröhlichkeit geführt habe. Ihre Klasse befände sich allerdings ein Stockwerk tiefer.

Dort war die Spannung kaum noch auszuhalten. Wo blieb die Schnecke nur? Hatte sie es sich auf Grund des ruinösen Rufes der Klasse etwa anders überlegt? Soeben war man im Begriff, einen Späher in den Flur zu schicken, als sich mitten in die Überlegungen und Mutmaßungen hinein die Klassentüre öffnete, und eine schlanke, junge Frau mit halblangen, roten Haaren das Klassenzimmer betrat. Sie trug ein totschickes, dunkelblaues, figurbetonendes Minikleid und flötete ein fröhliches "Guten Morgen! Entschuldigen Sie die leichte Verspätung!" in den Raum.

In der Klasse blickte man sich kurz an, zog die Brauen hoch und verstand sich. Das war ja eine süße Saftschnecke. Die Tante würde man fertigmachen. Die Jungs würden ungeniert und auffallend auf ihre Beine, ihren Po und ihre respektablen Brüste stieren, wie es unverschämter nicht ginge. Die Mädels würden sie ignorieren und vermutlich auch boykottieren. Das Spiel konnte beginnen.

wie es endete 


© drago 2013 

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